VERY BOYLED WATER

Saturday16Jan/0112 201217:58 12:33

 

Meine Frau Hannegret und unser Sohn Johannes vor der Tür unseres Cottages in Cleddagduff/Connemara, in dem wir 1986 Urlaub machten

 

Es war unser zweiter Urlaub in Irland. Diesmal hatten wir uns das wilde Connemara ausgesucht. In Le Havre sollte es auf die Fähre gehen. Leider stellte sich diesem Ziel in der Stadtmitte ein Porsche in den Weg. Eine zum Glück ruhige Unfallgegnerin, herbeigerufene Polizei, eine verzweifelte Ehefrau und ein erschrockener Sohn bildeten das Szenario. Der schöne Sportwagen hatte mehr abbekommen als mein Auto und so setzten wir die Fahrt bis zur Polizeiwache fort, von wo aus ich den ADAC in München anrufen konnte. Die Leute dort halfen bei der Abwicklung des Schadens. Zum Glück erreichten wir die Fähre noch pünktlich. Wir waren froh, als wir unser Auto auf dem Parkdeck abgestellt und unsere Kabine bezogen hatten. Bei ruhiger See legten wir ab.

Doch nach etlichen Stunden frischte der Wind auf und entwickelte sich zu einem kräftigen Sturm, der bald Windstärke 10 bis 11 erreichte. Das Schiff schlingerte und tanzte in den riesigen Wellen, es gab die ersten Seekranken. Unserem Sohn war nur schwer auszureden, dass es in der Irischen See keine Eisberge gäbe, wie er sie noch einige Tage zuvor im Fernsehen bei einem Film über den Untergang der Titanic gesehen hatte. Zum Glück wurden wir von der Übelkeit verschont. Es blieb uns nur die Sorge um das Auto im Bauch des Schiffes. Wir hofften, dass die Fahrzeuge dort nicht durcheinander purzelten. Am nächsten Morgen war das Restaurant zum Frühstück völlig leer, und wir konnten, zwar etwas schaukelnd, unser erstes irisches Frühstück mit Genuss einnehmen. Mit großer Verspätung kamen wir schließlich in Rosslare an und hatten noch den weiten Weg nach Connemara vor uns. Unmöglich konnten wir unser Ziel noch am gleichen Tag erreichen. So riefen wir die Vermieterin unseres Ferienhauses an und teilten ihr mit, dass wir erst am nächsten Tag ankämen. In Kilkanny machten wir Station, suchten ein Hotelzimmer und ließen den Tag in einem gemütlichen Pub ausklingen. Frohgemut machten wir uns am nächsten Morgen auf den Weg nach Connemara. Wir waren von der Gegend, durch die wir fuhren, hellauf begeistert und kamen so in der Hoffnung, nun endlich den Urlaub beginnen lassen zu können, in Cleddagduff in der Nähe von Cliffden an. „Das muss unser Haus sein“, rief unser Sohn. Tatsächlich, so sah auch das Haus im Prospekt aus, aber, davor hing ja Wäsche auf der Leine und aus den Fenstern schaute eine muntere Kinderschar. Die Vermieterin, die in der Nähe des Ferienhauses einen kleinen Supermarkt mit Postoffice und Pub und Tankstelle betrieb, war nicht da. Ihrem Sohn trugen wir nun vor, dass ja wir eigentlich das Haus bewohnen wollten. Er war auch einsichtig und versprach, die dort hausenden Iren rauszuwerfen. In zwei Stunden sollten wir wiederkommen. Wir fuhren nach Claggen und sahen uns ein wenig im Hafen um. Als wir unser Ferienhaus dann endlich betreten durften, hätten wir uns am liebsten auf dem Absatz umgedreht. Um es kurz zu machen, das Haus war unbewohnbar! Ein Gasherd ohne Knöpfe, ein Küchenschrank ohne Scheiben, feuchte Betten und angeschimmelte Kopfkissen. Der Sohn der Vermieterin beteuerte, alles richten zu wollen, redete fortwährend von seven irish people, die das alles so verunstaltet hätten. Nein, hier wollten wir nicht vier Wochen bleiben! Es wurde dann vereinbart, dass wir in das Nachbarhaus umziehen sollten, in ein kleines, urgemütliches Cottage. Erleichtert luden wir unser Gepäck über den Zaun ins neue Haus. Als am Abend das Torffeuer im Kamin brannte und wir unseren ersten Whisky schlürften, waren die Schrecknisse unserer Anreise schon beinahe vergessen. Als wir am nächsten Morgen wach wurden, erwartete uns eine Überraschung. Im Wohnzimmer, gleich hinter der Haustür, hatte sich eine große Pfütze gebildet. Erinnerungen an eine Episode aus Heinrich Böll`s „Irischem Tagebuch“ tauchten auf. Die Pfütze wurde immer größer, weil der Regen immer heftiger wurde. Zu Hause hatte man uns gesagt, Regen sei in Irland nicht von langer Dauer und würde bald wieder von Sonnenschein abgelöst. Nicht so an unserem ersten Ferientag! Die kleine Insel Omey, gestern noch von unserem Cottage aus gut zu erkennen, lag hinter Regen und Nebelschwaden verborgen. Neugier trieb uns aber aus dem Haus, denn wir wollten doch wissen, wie die Gegend aussah, in die es uns verschlagen hatte. Also bestiegen wir im Schutze unserer Schirme das Auto und fuhren einfach los. Die Einfahrt zu unserem Haus

Bald fiel uns ein Wagen mit französischem Kennzeichen auf, dessen Fahrer offensichtlich etwas suchte. Neugierig geworden fuhren wir hinterher. Das Fahrzeug hielt vor einem Haus direkt an einem Meeresarm. An seinem Giebel war „Seafood“ zu lesen. Wir stiegen auch aus und folgten den Franzosen ins Innere des Ladens. Dort wurden wir Zeugen eines Verkaufsgesprächs, in dem es um den Erwerb eines Hummers ging. Als man sich einig war,zog der Verkäufer sein Ölzeug an, ruderte mit einem kleinen Boot hinaus in die Bucht und kam bald mit einem stattlichen Lobster zurück. Wir schauten uns an, das wäre doch auch etwas für uns, um dem grässlichen Tag ein schönes Ende zu geben! Also, der Verkäufer stieg noch einmal ohne zu murren in sein Boot und brachte uns einen quicklebendigen großen Hummer mit. Gut verpackt in feuchtem Zeitungspapier trugen wir das Tier nach Hause. Beim Kauf hatten wir nicht daran gedacht, dass zum Kochen des Hummers auch ein großer Topf von Nöten sein würde. Alles Suchen in der Küche half nicht, nirgends war so etwas aufzutreiben. Meine Frau meinte schließlich, wir sollten doch bei unseren Vermietern nachfragen, ob sie uns ein geeignetes Gefäß leihen könnten. Diese betrieben wenige hundert Meter von uns entfernt in Aughrismore ein kleines Lebensmittelgeschäft. Die Murphy`s empfingen uns herzlich. Wir stellten uns vor. Als unser Sohn seinen Vornamen - Johannes - nannte, entfuhr es Mrs Murphy:“ Oh, Johannes, like Johannes Brahms!.“ Wir waren fürbass erstaunt so viel Kulturverständnis im fernen Irland auf dem Lande zu erfahren, zumal sich herausstellte, dass sie sich durchaus auch im Werk des Komponisten auskannte. Dann kam aber doch unser eigentliches Anliegen zur Sprache, und Mrs Murphy holte aus der kleinen Wohnküche einen großen Topf. Nun wollte meine Frau aber auch Tipps für die Zubereitung des Hummers haben, wobei sie zugab, nicht genau zu wissen, wie ein solches Tier zu kochen sei. Mrs Murphy wandte sich sogleich erstaunt an ihren Gatten:“ Oh, Joseph she never in her life cooked a lobster!“ Es folgten detaillierte Anweisungen, die in dem Satz gipfelten:“ You have to put it in very boiled water!“ So, mit den besten Tipps ausgerüstet, gingen wir wieder nach Hause, um das Tier zuzubereiten. Schnell war auch „very boiled water“ hergestellt.Nun käme meine Arbeit, meinte die Familie, nämlich den zappelnden Lobster in das kochende Wasser zu stecken. Ich sollte also das mörderische Handwerk ausüben. Tapfer überwand ich mich und schaffte es tatsächlich, den Hummer in das siedende Wasser zu stecken, was nicht so leicht war, da das Tier nach Kräften strampelte und der Topf auf einmal doch etwas zu klein erschien. Beim Abtauchen in das heiße Wasser war ein jämmerliches Quieken zu hören. Strafende Blicke meiner Familie trafen mich. Geschmeckt hat es uns allen anschließende aber doch vorzüglich. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich seither keinen Hummer mehr in „very boiled water“ gesteckt habe.