Hadschi

 


Blick vom Nil auf Karnak
Luxor - Hinter den Kreuzfahrtschiffen ist der Luxor-Tempel zu sehen


Wie vereinbart standen wir, meine Ehefrau, ich und ein befreundetes Ehepaar um 10.30 Uhr an der Einfahrt zum Old Winter Palace, dort, wo die Taxifahrer ihren Stand haben. Als Erkennungszeichen hatte ich einen gelben Zettel in der Hand, wir warteten auf Hadschi. Hadschi besitzt ein Taxi, mit dem er in Luxor meist Touristen chauffiert. Als zur verabredeten Zeit von einem Hadschi weit und breit nichts zu sehen war, wurde das Grinsen im Gesicht des uns begleitenden Ehepaares immer breiter, hatte man mich im Vorfeld schon belächelt, weil ich auf das vereinbarte Treffen vertraute.
Winter Palace 1

Doch! Hadschi sei da, sagte die anderen Chauffeure, er habe nur gerade eine Tour bekommen, er käme gleich bestimmt zurück.
Als eine Viertelstunde vorüber war, erschien tatsächlich ein Taxi, dem ein stämmiger dunkelhäutiger Mann in blütenweißer Galabija entstieg, Hadschi.
Nun, wie kamen wir ausgerechnet auf Hadschi und sein Taxi?
Meine liebe Ehefrau hatte sich für Ägypten und seine pharaonische Kultur begeistert, nachdem sie den Roman von Viktoria Wolf „König im Tal der Könige“ gelesen hatte, in dem es darum geht, wie Howard Carter das Grab des Pharaos Tutanchamun entdeckt und ausgräbt. Mein Interesse an dieser Thematik war bis dahin recht mager, aber meiner Gattin zu Liebe hatten wir im Vorjahr bereits mit besagtem Ehepaar eine Rundreise durch das Land der Pharaonen gemacht, und - ich war restlos begeistert heimgefahren.
Nach meiner Pensionierung im selben Jahr wurde ich Gasthörer und später ordentlicher Student der Ägyptologie in Köln. Ich lernte Hieroglyphen und die mittelägyptische Sprache, alles nicht so leicht, und nahm an Vorlesungen und Seminare zu archäologischen Themen teil. Dabei lernte ich einen sehr beflissenen jungen Mann kennen, der Jahr für Jahr mit seinen Eltern und später mit seiner Großmutter nach Luxor reiste. Er wohnte dann wie wir im Old Winter Palace. Im Laufe der Jahre hatten sie die Dienste des taxifahrenden Hadschi zu schätzen gelernt. Ortskundig hatte er sie an jeden gewünschten Platz gefahren.
Der junge Mitstudent meinte, bei unserer nächsten Ägyptenreise könnten wir doch auch auf Hadschi`s Dienste zurückgreifen. Die Idee gefiel mir. So nahm der junge Mann Kontakt zu Hadschi auf und kündigte uns an. Das war nicht so leicht, da Hadschi 1. kein Telefon besaß und 2. die Häuser in seinem Ort auf der Westbank von Luxor keine Hausnummern haben. Man musste also an eine bekannte Institution, z. B. ein Restaurant, schreiben und hoffen, dass man von dort den Brief an Hagi weitergab! Merkwürdigerweise klappte das, und wir konnten Datum, Uhrzeit und Erkennungszeichen -gelber Zettel- vereinbaren.

Kreuzfahrtschiffe a. d. Nil

Tags zuvor waren wir in Luxor angekommen, nachdem wir eine einwöchige Nilkreuzfahrt unternommen hatten. 
Diese war aber nicht so ganz nach unserem Geschmack verlaufen. Das Schiff, das wir eigentlich gebucht hatten, war nicht rechtzeitig fertig geworden, und so wurde das bereits ausgemusterte Schwesterschiff wieder flott gemacht. Entsprechend schlecht war die Unterkunft. Steckdosen funktionierten nicht, die Toilette war undicht, das Wasser der Spülung ergoss sich im kleinen Bad u.s.w.. Abhilfe durch das bemühte Personal war kaum möglich! 
Die Beköstigung war allerdings vom Feinsten, was auch eine mitreisende ungarische Touristengruppe zu schätzen wusste. Zum Essen kam man in Badekleidung und häufte sich am Buffet die Teller voll, aß ein Wenig und ließ den Rest zurückgehen, um wiederum zuzuschlagen. Wahrscheinlich hatte man in der früheren sozialistischen Realität von solch einem Überfluss geträumt.

OLD_WINTERPALLACE04_1

In Luxor nun wohnten wir im prächtigen Old Winter Palace, einem Hotel, in dem in früherer Zeit der Earl of Carnarvon mit seiner Tochter und eben Howard Carter gewohnt hatten. Später nächtigten dort Fürsten, Könige und der Geldadel. Aber nun waren wir hier abgestiegen! Nein, nicht Neckermann, aber eine anderer Reiseveranstalter machte es möglich. Empfangshalle, Treppenhaus, Speisesaal und Zimmer strahlten den Glanz einer früheren Herrlichkeit aus.Wir fühlten uns sehr wohl! 

Sonnenuntergang Westbank

Den Sundowner nahmen wir stets auf der wunderschön gelegenen Terrasse mit Blick auf den Nil und die Berge der Westbank, wo die Sonne unterging, im Land der Toten nach pharaonischem Glauben.
Zu den Gräbern der Pharaonen im Tal der Könige, zu den Totentempeln und sonstigen Sehenswürdigkeiten brachte uns Hadschi mit seinem in die Jahre gekommenen, aber stets zuverlässigen Taxi der Marke Peugeot.
Hadschi wohnt in El Gurna auf der Westbank, wir in Luxor auf der anderen Nilseite. Also mussten wir, um die wichtigsten Sehenswürdigkeiten auf dem anderen Ufer des Nils zu besuchen, jedes mal über den Fluss. Weiter stromab gibt es zwar eine Brücke, die war aber in den Nacht- und frühen Morgenstunden gesperrt. Also hatte Hagi einen besonderen Service für uns. Morgens zur abgesprochenen Zeit holte uns ein kleines Fährbot ab und lieferte uns am anderen Ufer zu Füßen von Hadschis Taxi ab. Dann konnten wir auf Besichtigungstour gehen. 
Das Tal der Könige ist eine große Touristenatraktion geworden. Zu bestimmten Urlaubszeiten ist es überlaufen. Die Besucher drängen sich vor den Gräbern und in deren Gängen und Hallen. 

Tal der Affen Wächter

Wir mieden diesen Teil der Region und folgten Hadschi in das Tal der Affen. Von der befahrenen Straße, die zu den Hauptsehenswürdigkeiten führt, bogen wir in einen mit Schlagbaum versehenen Schotterweg ab. Eine kleine Ewigkeit fuhren wir durch eine menschenleere Steinwüste bis zu einer Hütte, aus der ein Wächter kam, unser Fahrer unterhielt sich mit ihm kurz, dann stieg der Mann in unser Auto, und wir fuhren einige Kilometer weiter. Wir stiegen aus, und der Wächter verschwand in einem Schuppen, aus dem dann lautes Geknatter erscholl, er hatte ein Dieselagregat zur Stromerzeugung angeschmissen. Dann führte er uns zu einem größeren Loch im Fels, das mit einer Gittertür verschlossen war, der Eingang zum Grab des Pharao Eje. Ganz für uns konnten wir die herrlichen Zeichnungen, die Grabkammer und den Sakophak bewundern. 
In den pharaonischen Gräbern ist das Photografieren strikt verboten, aber ein hinreichendes Bakschisch löst auch dieses Problem.

Eje Grab Sacrofark
Grabscene gem. Diener
Eje-Grab ? Affen

Seinen Namen hat das Tal der Affen nach den Abbildungen im Grab des Ehe, die heilige Paviane zeigen.
Ganz ungefährlich ist der Aufenthalt in dieser öden, menschenleeren Steinwüste nicht, wie unser Führer versicherte, gibt es hier eine Vielzahl an giftigen Vipern! Aber, wir haben auch dieses für normale Touristen ungewöhnliche Abenteuer überstanden.

Markt1 - Arbeitskopie 2

Ein anderes Mal führte uns Hadschi auf den Einheimischen-Markt in El Gurna. Mitten unter der Bevölkerung des kleinen Ortes konnten wir das fröhliche Treiben verfolgen, wir wurden freundlich aufgenommen.

Hagi u. Familie

Ich glaube, es war am zweiten Tag unter Hadschi`s Führung, als er uns zu sich nach Hause einlud. Erfreut stimmten wir zu. In seinem Haus, aus Lehmziegeln gebaut - „ This is my Winter Palace“ -, bat er uns in den Hauptraum des Hauses, der als Aufenthaltsraum, aber auch als Schlafzimmer diente. Wir nahmen auf ebenfalls aus Lehmziegeln gemauerten Bänken, die mit Teppichen bedeckt waren, Platz. Danach gefragt, ob auch unter seinem Hause Gräber verborgen seien, bejahte er dies, beteuerte aber, die Zugänge seien mit Beton fest verschlossen. Wer`s glaubt! 

El Gourna

Dann mussten wir die anwesende Kinderschar begrüßen, zuerst natürlich seine Söhne, dann die Mädchen. Wir verteilten die mitgebrachten Süßigkeiten und Kugelschreiber an die Kinder. Gerade Kulis sind sehr begehrt. Hagi erzählte uns, dass er nicht nur für seine Kinder zu sorgen hätte, sondern auch für die Töchter seiner Schwägerin, die auch mit im Haus lebte. Ihr Mann war früh verstorben. Stolz zeigten die Kinder uns ihre Schulbücher, und wir mussten mit ihnen rechnen und englische Wörter hersagen. 

Hagi mit Familie

Dann erschien eine Kopftuch tragende Frau, Hadschis Ehefrau, mit einem riesigen Tablett, auf dem frische Gemüse jeglicher Art und frittenähnliche gebratene Kartoffeln lagen. Den Hocker in der Raummitte deckte sie mit Zeitungspapier und stellte das Tablett darauf. Danach zog sie sich freundlich lächeln zurück. Hadschi bedeutete uns, kräftig zuzufassen. 

bei Hadschi

Pharaos Rache befürchtend langten wir aus Höflichkeit zunächst vorsichtig zu.
Hatten wir nicht im Reiseführer gelesen, dass man gerade beim Genuss von Salat oder ähnlichem sehr vorsichtig sein sollte. Aber, das Angebotene war köstlich, frisch und sehr aromatisch und Pharao hatte seine Rache auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Die Frauen des Hauses bekamen wir erst später zu Gesicht, als wir regelmäßig am Ende unserer Besichtigungstour bei Hadschi einkehrten, um Tee zu trinken. Dann stellte er uns auch seine Mutter und seine Schwägerin vor. Die Damen verhielten sich sehr schüchtern und zurückhaltend und hielten sich stets in der Küche auf.
Das Dorf El Gurna ist berühmt, weil es auf unterirdischen Grabanlagen aus pharaonischer Zeit erbaut ist. Schon lange bemüht sich der ägyptische Staat darum, die Einwohner des Ortes umzusiedeln. Die Bewohner weigern sich konstant, da sie den „Untergrund“ als eine Art Schatzkammer betrachten, aus der bei Bedarf das eine oder andere antike Stück verscherbelt werden kann.
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Diesem Dorf entstammt auch die berühmte Grabräuber-Dynastie der Rassuls, die bei den frühen Ausgrabungen eine wichtige Rolle spielte.
Warum Hadschi auf seinen Namen hörte, blieb uns verborgen, seine Kollegen nannten ihn so, vielleicht war er ja einmal auf der Hadsch. 
Auch bei späteren Aufenthalten in Luxor war Hadschi unser Guide und wie selbstverständlich nahmen wir den nachmittägliche Chai bei ihm ein. Später bekam er auch ein Telefon, das er uns dann voller Stolz präsentierte.
Hagi war aber auch ein Schlitzohr. Bei unserem ersten Aufenthalt in Luxor führte er uns zu einem Mann, der bei Ausgrabungen helfe und dabei ab und zu einen kleinen Fund mitgehen liesse, so beteuerte Hadschi. Schon aus Anstand und Hadschi zu Liebe kauften wir dem Räuber einen Skarabäus ab, der mit Sicherheit eine gute Fälschung ist. Zum Dank bekamen wir einen ebenfalls echt aussehenden kleinen Uschebti. Uschebtis sind Dienerfiguren aus Stein, die dem Verstorbenen im Jenseits dienen sollen. Damals wussten wir noch nicht, dass die Ausfuhr von Antikem streng bestraft wird.

Was aus Hadschi und seiner Familie geworden ist, wissen wir nicht, der Kontakt zu ihm ist abgebrochen.

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Wer sich für die Thematik des alten Ägyptens interessiert, für den habe ich ein paar interessante Buchtitelaufgeschrieben:

- Ägypten - Bildatlas der Weltkulturen, Bechtermünz Verlag - mutet auf den ersten Blick etwas reißerisch an, gibt aber einen gründlichen Überblick über die Thematik

- Eric Hornung, Einführung in die Ägyptologie, WBG Verlag

- Karl -Theodor Zauzich, Hieroglyphen ohne Geheimnis, Verlag Philip von Zaubern

- Christian Jacq, Die Welt der Hieroglyphen, Rowohlt Verlag

- Mika Waltari, Sinuhe der Ägypter

Bildbände z. B. :

- Kent R. Weeks, Araldo Da Luca, Im Tal der Könige, GEO Verlag

- Marcello Bertinetti, Ägypten von oben, Weltbild Verlag

Für denjenigen, der sich über historische Romane dem Thema des alten Ägypten nähern will, seien die Romane von Christian Jacq und Pauline Gedge empfohlen.