DER LÄMMERSCHWANZ



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So sieht die Hauptstraße von Clifden heute aus. Johannes machte dieses Foto letztes Jahr

Jahrelang stand sie unbeachtet in einer dunklen Kellerecke. Ab und an fiel einmal ein Blick auf sie und abschätzige Wörter wie „Lämmerschwanz“ und „ungelenker Prügel“ kamen mir in den Sinn. Wie konnte man früher nur mit so etwas fischen! In bunten Katalogen hatte ich mir meine neuen Rütchen ausgesucht, hatte lange gegrübelt, welches der sündhaft teuren filigranen Stücke es sein sollte. Undankbar war ich, wie ich heute weiß. Rückblick. Vor vielen, vielen Jahren propagierte Hans Steinfort, ein Angeljournalist und Buchautor, manch einer aus unserer Zunft wird ihn noch kennen, das Einkürzen längerer Ruten, um so der Gerte ein besseres Wurfverhalten zu geben.* Ich war interessiert. Und so, man wird es ahnen,

 

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musste die alte Rute aus der Kellerecke dran glauben. Aber, zufrieden war ich mit dem Resultat nicht, was wahrscheinlich weniger an der armen Rute als an meinem mangelnden Wurfvermögen lag. Natürlich stand das Versuchsobjekt sogleich wieder in der Ecke. Ich verbesserte meine Wurfqualitäten fürdahin natürlich mit Kohlefaser. Am Wasser wollte ich ja, wenn schon nicht mit präzisen Würfen, dann doch mit optimalem Material punkten. Vor einiger Zeit traf ich dann einen Fliegenfischer an meinem Hausgewässer, der mit etwas fischte, das so gar nicht in das heutige Rutenschema passte. Er lud mich ein, einmal mit dieser Rute zu werfen. Ich war über alle Maßen erstaunt, so etwas Sensibles, Feinnerviges! Toll! Wo gibt es so etwas, wollte ich wissen. Ich erhielt die Adresse einer Firma in Holland, die, ihr werdet es vermuten, noch Glasfaserruten baut. Wieder daheim, näherte ich mich also bewusster Kellerecke und kramte das vergessene Stück hervor. Ein paar Wedler im Garten und der Entschluss stand fest, die stümperhafte Überholungsaktion von damals musste korrigiert werden! Manch ein Leser wird vielleicht jetzt denken, was macht der gute Mann so ein Aufheben von einer profanen Angelrute! Nun, ich habe ja noch nicht alles verraten. Die Geschichte dieser Angelrute geht ja noch viel weiter zurück. Genau genommen etwa 25 Jahre. Ich machte mit Ehefrau und Sohn Urlaub in Irland, genauer gesagt in der Nähe von Clifden in Connemara. Freunde hatten mir daheim geraten, in Irland, da musst du unbedingt angeln! Also erwarb ich im heimischen Angelladen eine einfache Teleskoprute samt Rolle, Schnur und all den Dingen, die man für`s Angeln so braucht. Nach wirklich turbulenter weil stürmischen Überfahrt und einigen anderen Kapriolen, das gemietete Cottage z. B. bewohnte bereits eine irische Familie, wollte ich nun , heftig gedrängt von meinem damals wohl neunjährigen Sohn, die erste Forelle fangen. Die Angelkarte für einen kleinen See war gekauft und nun ging es auf Ködersuche. Überall, wo ich nach Regenwürmern fragte, sah man mich verständnislos an. Da die Iren ja sehr freundliche Menschen sind, riet man mir, you have to dig on farmyard! Ein Bauer in unserer Nachbarschaft, mit Namen Joseph, liess es sich nicht nehmen, persönlich auf seinem Misthaufen nach Würmern zu graben. Ich meine gesehen zu haben, dass er gelegentlich grinsend mit dem Kopf schüttelte. Nun hatte ich Köder und der Bauer einen Hexenschuss. Für die Würmer liess ich ihm eine Salbe gegen seine Pein zurück. Dieser Urlaub war wirklich reich an Ereignissen. Nach einer guten Woche und einiger mit Wurm gefangener Forellen meldete sich ein Weisheitszahn. Alle Sälbchen und Tinkturen halfen nichts! Ich musste zu Zahnarzt! Dessen Praxis war auch bald gefunden, und ich stieg, moralisch unterstützt von meiner Frau, die ausgetretenen Stufen zum Behandlungsraum empor. Was mich dort erwartete verschlug mir den Atem. Röntgenbilder hingen an schmutzigen Fensterscheiben, aus den Lehnen des Behandlungsstuhles quoll so etwas wie Stroh oder Gras. Noch bevor ich den Mund aufmachen konnte, teilte mir der Arzt mit, ich solle zwar ruhig im Stuhl sitzen bleiben, wenn aber der erwartete Patient von der Insel Inishbofin käme, müsse ich den Stuhl sofort räumen, damit dieser Patient dann pünktlich wieder zurück zu seiner Fähre käme. Nun aber die größte Überraschung, der Zahnarzt kam mir sehr bekannt vor. Oft hatte ich ihn schon bei unserem Bummel durch Clifden an der Bar des Pubs stehen sehen, ein Pint Guinnes in
 
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der Hand. Er war mir dadurch aufgefallen, dass er an seinem Tweedhut eine Unzahl von Angelfliegen stecken hatte. Dieser Mann beugte sich nun über mich, und ich machte eine Hochrechnung, wie viele Pints er wohl schon genommen haben könnte. Seine Hände waren erstaunlich ruhig, aber, was soll ich euch sagen, sie rochen nach Fisch! Der Spezialist eröffnete mir sodann, dass er den Zahn ziehen müsse. In mir bäumte sich alles auf! Nur das nicht! Wohl, weil er immer noch fürchtete, der Patient von der Insel würde kommen, liess er sich überreden, es mit einer Gabe Antibiotikum zu versuchen. Die Tabletten haben geholfen, der Urlaub war gerettet! Nun muss ich meiner Gattin wohl sehr leid getan haben, denn auf dem Heimweg drängte sie mich geradezu in den örtlichen Angelladen und meinte, ich solle mir doch einmal die Fliegenruten ansehen. Wir suchten Rat bei einem Verkäufer, der aber nicht sogleich Zeit für uns hatte. Er musste sich erst von anderen Kunden hinlänglich begrüßen lassen. Oh dear is it Percy? Oh yes it is Percy! Nachdem Percy hinlänglich geherzt worden war, wandte er sich uns zu. Percy war ein kleiner, glatzköpfiger, distinguierter älterer Herr in sportlichem Tweed gewandet. Ich äußerte den Wunsch, eine Fliegenrute zu erwerben, den günstigen Moment der Großzügigkeit meiner Frau nutzend. Percy`s Fragen nach Art der Rute verstand ich überhaupt nicht, hatte ich doch damals keinen blassen Schimmer von so Sachen wie AFTMA- Klassen, Aktion u.s.w.. Kein Problem für den Verkäufer, er nahm eine Rute aus dem Regal und meinte, die würde zu mir passen. Das fand ich auch. Da der Preis auch akzeptabel war, kauften wir die Rute samt Fliegenrolle, Schnur, Vorfach und Fliegen. Noch am gleichen Tage wurde das neu erworbene Gerät am See ausprobiert und zu meinem großen Erstaunen fing ich sogar eine kleine Forelle. Es sollte die erste und letzte mit der Fliegenrute gefangene Browntrout dieses Urlaubs sein. Die anderen, ich muss es gestehen, fielen auf meine dargebrachten Würmer rein. Das weitere Schicksal besagter Rute ist bekannt. Nachdem sie nun einen neuen Korkgriff und einen Rollenhalter erhalten hat, werde ich mit ihr in der kommenden Saison, so hoffe ich, den ersten Fisch fangen!

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Percy`s Wirkungsstätte
Percy`s Wirkungsstätte