Archie

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Ich wollte zum Rückschwung ansetzen, als ich plötzlich einen Widerstand spürte. Bei genauerem Hinsehen musste ich feststellen, dass sich der Haken meiner Fliege irgendwo an meinem Bootsnachbarn festgesetzt hatte. Ein etwas kräftigeres Lufthohlen des Nebenmannes im Boot hatte ich schon vernommen. Nun sah ich, dass meine Fliege fest im rechten Daumen unseres Angel-Guides Archie festsaß. Sie saß so fest, dass ein vorsichtiges Wenden und Ziehen beim Versuch, den Haken herauszuziehen, nichts half. Mein Gott, war mir das peinlich! Ich bestand darauf, sofort ans Ufer zu rudern, um dort Erste Hilfe zu leisten. Archie aber lehnte das strikt ab, er schnitt die Fliege am Vorfach ab und wollte unbedingt weiter fischten.
Später beim Lunch im Bootshaus war der Haken dann plötzlich aus dem Daumen verschwunden, und es zeigte sich wieder einmal, wie gut es ist, stets einen schottischen Whisky mit sich zu führen, auch wenn er nur zum Desinfizieren dient.
Ich ließ mir dann sagen, dass dies beileibe nicht der erste Haken war, den unser Guide im Laufe seiner Tätigkeit abbekommen hatte. Er hat halt so seine Tricks, sich eines solch lästigen Gegenstand zu entledigen. - Wer Näheres über diesen chirurgischen Vorgang wissen möchte, kann sich bei mir informieren. Hier will ich nicht auf Details eingehen! - Natürlich tranken wir auch einen Schluck des „Desinfektionsmittels“ auf die geglückte Operation!
Wie schon gesagt, Archie war unser Guide an den schottischen Lochs und Flüssen. Stewart, den wir eigentlich für eine Woche gebucht hatten, hatte sich krank gemeldet. 

 

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Statt seiner holte uns Archie am ersten Tag unserer Angelwoche mit seinem Geländewagen am Hotel ab.
Archie ist ein älterer Herr, schon über die 70, und sieht eher so aus, wie ich mir immer einen britischen Offizier der Indienarmee vorgestellt hatte - von hagerer Gestalt und einem kräftige Backenbart. Früher hatte er sich sein Brot als Ingenieur bei der britischen Telefongesellschaft verdient. Das erfuhren wir, wenn er unterwegs auf kleine Häuschen und Leitungen wies, von denen er behauptete, sie erbaut oder errichtet zu haben.
Archie war ein geduldiger Lehrer, der es auch schaffte, uns beim Lachsfischen im River Tay den Spaycast beizubringen. An den Lochs manövrierte er uns an Stellen, wo es stets gute Fische zu fangen gab.
Sein Humor war trocken und seine Geschichten von großem Interesse, wenn er z.B. von russischen Gästen sprach, die im Boot heftig dem Whisky zusprachen,ohne dabei allzu alkoholisiert zu erscheinen. Oder er erzählte von steinreichen amerikanischen Ladies, die zur Unterhaltung eine kompletter Piperband am Ufer des Lochs aufmarschieren liessen, um die Angelgesellschaft in ihren Booten auf dem See zu unterhalten. Wir wollten dies alles in den Bereich der Fabeln verweisen, er aber bestand darauf, das alles so erlebt zu haben.

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Später erfuhren wir, als wir anderen Fischern von Archie erzählten, dass er einen Spitznamen hat, nämlich Submarine .
Das kam so. Wie schon erwähnt, Archie hatte stets eine Flasche Whisky dabei und man erzählt sich, dass er zuweilen gern auch mal einen Schluck daraus nahm. Am River Tay hatte er zwei Gäste von einem an das andere Ufer gerudert. Bei der Anlegestelle hatte er sich nun, man sagt, auf Grund des Whiskygenusses, ein wenig verschätzt. Beherzt sprang er, wie er meinte, vom Boot aus ins seichte Uferwasser. Von diesem war das Boot aber noch ein ganzes Stück weit entfern, so dass Archie in den Fluten des Tay zur Gänze verschwand. Luftblasen verrieten die Stelle des Geschehens. Man machte sich bereits Sorgen, als unser Guide wie ein Korken aus dem Wasser emporschoss und prustend ans rettende Ufer paddelte. 
Es war eine schöne Zeit, die mein Sohn Johannes und ich mit Archie erlebten, wir erinnern uns gerne daran.